Mutige Entdeckungsreisen

„Die Kinder kennen weder Vergangenheit noch Zukunft, und –was uns Erwachsenen kaum passieren kann – sie genießen die Gegenwart.“ Jean de la Bruyère

Die ersten Schritte in deinem Leben

Kommt ein Baby gesund zur Welt, kann es sehen, hören und auf Berührungen reagieren – zunächst mit reflexartigen Reaktionen. Der Körper wird benutzt, um Bedürfnisse wie Hunger oder Gefühle wie Angst zum Ausdruck zu bringen. Die Gehirnentwicklung hängt von der natürlichen, sozialen und kulturellen Umwelt ab – wie sie wahrgenommen und später erkundet wird.

Die ersten 24 Monate sind sehr bedeutsam für dein weiteres Leben und Entdeckungsreisen. Als Baby entwickelst du dich körperlich, geistig und möchtest mit deinen neu erlernten Fähigkeiten die Welt erkunden.

Zunächst lernst du einmal, wie du dich auf den Händen und Knien balancierst. Und wenn du lange genug durchhältst, findest du heraus, wie du dich aus dieser Position durch Verschieben der Knie nach vorn und hinten bewegen kannst. Schrittweise erlernst du die Koordination von Armen und Beinen. Eine letzte große Herausforderung steht noch zwischen dir als Baby und deiner Mobilität: das Laufen. Aus dem Krabbeln heraus versuchst du dich allmählich immer wieder an irgendwelchen Dingen hochzuziehen. Furchtlos wird die gesamte Wohnung auf den Kopf gestellt und inspiziert – so willst du als Baby nun an allem hoch, was du nur annähernd erreichen kannst. Egal, ob es der Tisch, die wacklige Vase oder auch die Beine der Eltern ist.

Nach und nach findest du als Baby die nötige Balance auf den Füßen. Dann wird aus dem Hochziehen ein Entlanglaufen an Möbeln. Diese Entwicklung erfolgt Schritt auf Schritt. Und dann eines Tages kommt der große Moment 🙌: Du kannst eigenständig und freihändig laufen.

Es scheint, als wärest du auf einer Entdeckungstour. Du hast zwar weniger Ausrüstung dabei als es die Backpacker heutzutage haben, wenn sie die Welt bereisen. Doch im Grunde genommen hast du das gleiche Ziel – Neues sehen, Menschen und die Umwelt kennenlernen. Alles willst du mit deinen kleinen Händen ertasten, in den Mund nehmen und erfühlen. Ohne Furcht bist du als kleines Kind auf der Suche nach neuen und aufregenden Dingen – vorausgesetzt, niemand hält dich davon ab.

In einer emotional sicheren Umgebung wirst du von Impulsen gesteuert.

Du hinterfragst nicht, ob du vielleicht scheitern könntest. Du suchst dir ein Ziel, das du erreichen willst und los geht es. Du fragst dich nun sicher, warum ich dies so ausführlich erkläre. Ganz einfach: Ich möchte dir zeigen, dass das Leben als Baby auch nicht immer so unbeschwert ist. Auch da stehst du vor vielen Herausforderungen. Es gibt dennoch einen Unterschied: Als Baby greifst du nicht auf negative Erfahrungen zurück, die deinen Mut zurückhalten. Als Baby zweifelst du nicht an dir oder daran, dass du deine Ziele erreichst. Und Aufgeben kommt auch nicht in Frage.

Die Erziehung des Menschen beginnt bereits mit der Geburt.

Ehe du sprichst oder hörst, lernst du. Das ist wunderbar – birgt aber auch Gefahren. Denn das bedeutet, dass du als Kind Dinge von deinen Bezugspersonen lernst, bevor du sie selbst erfahren kannst. Erfahrungen, die du aufgrund deines Instinktes als Baby dann gegebenenfalls nicht selbst machst, wenn du zurückgehalten wirst – „belehrt“ wirst. Deine Bezugspersonen machen dir während der Kindheit mit ihrer Mimik, Artikulation und Gestik deutlich, welche Situationen in Ordnung und welche gefährlich sind. Du reagierst auf diese Empfindungen.

Stelle dir mal folgende Situation vor: Als Baby versuchst du auf eine leichte Erhöhung zu krabbeln, weil du etwas zu essen entdeckst. Die meisten Eltern rennen erschrocken herbei, aus Angst, es könnte irgendetwas passieren. Dabei sind manchmal am Ende nicht nur die Eltern, sondern auch du als Baby verängstigt, da sich deren Unsicherheit auf dich überträgt. Der Instinkt, etwas erkunden zu wollen, wird damit unbewusst gehemmt.

Oder: Du versuchst dir zum ersten Mal die Schuhe zu binden. Deine Mutter schaut dir zu. Erste Möglichkeit ist, dass deine Mutter dich unterbricht und sagt: „Ach, Mensch. Was dauert das denn nun so lange? Komm, ich mach das für dich.“

Zweite Möglichkeit ist, dass deine Mutter absichtlich ein wenig wegschaut, um dir die Gelegenheit zu geben, es selbst zu schaffen. Ohne lange zu überlegen, kannst du heute die damalige Situation analysieren. Traut man dir wenig oder nichts zu, willst du dich zukünftig immer bei all deinen Taten rückversichern?

Eine ähnliche Situation kannst du dir auf dem Kinderspielplatz vorstellen. Die Kleinen toben herum. Die Mütter sitzen auf der Bank und schauen zu, wie die Kinder Spaß haben. Nicht alle – es gibt auch Eltern, die ihre Kinder bei keinem einzigen Schritt aus den Augen lassen. Das Klettergerüst ist zu hoch, zu niedrig, zu scharfkantig, zu schmutzig. Das Kind soll sich nicht verletzen und nicht schmutzig machen, aber doch bitte spielen. Mal ehrlich – das stellt für jedes Kind eine Herausforderung dar.

Was setzt einen Entdeckergeist voraus?

흰색 탐색 깃발
Unsplash: https://unsplash.com/de/fotos/z55CR_d0ayg

Als Kind ist es nötig, dass du Liebe, Zuwendung und Wertschätzung für deine Entdeckungslust er fährst. Das Loben und Bestärken für den Mut sind wichtig, um dich nicht abzuhalten, sondern weiter anzutreiben. Natürlich kommt es auch hier auf das eigene Empfinden der Bezugsperson an. Ist diese eher ängstlich oder furchtlos? Und in welcher Familie wird sie groß und welche Erfahrungen macht sie im Zuge ihres Lebens? Das macht einen enormen Unterschied für die spätere Entwicklung und deinen Mut zu Veränderungen. All diese Erfahrungen speicherst du unterbewusst ab und lernst Situationen einzuschätzen.

Wie wichtig ist der Entdeckergeist allgemein für Veränderungen? Deine Bezugspersonen steuern dein Verhalten. Und sie prägen es ebenso für die Zukunft. Denn sie sind deine Basis, dein Maßstab, für das Beurteilen von gut, schlecht, gefährlich und ungefährlich.

Warum gehen also die Entdeckerlust und der Wunsch nach Veränderung nach dieser kindlichen Phase bei vielen irgendwann verloren?

Wenn du als Kind ständig das Gefühl hast, in Gefahr zu sein, bist du gehemmt und du willst Veränderungen vermeiden. Wenn all deine Expeditionen von deinen Bezugspersonen als negativ empfunden werden, dann lernst du, es zu lassen und nicht mehr entdecken zu wollen. Stattdessen ist es für dich besser, dem zu folgen, was gesagt wird und damit in einer surrealen Sicherheit zu sein. Dir geht die Begeisterung für Neues verloren, wenn dir die Zuwendung und Anerkennung entzogen wird. Und du passt dich deiner Umgebung an, sodass du in sie hineinpasst.

Als Baby brauchst du also eine sichere Umgebung für deine mutigen Entdeckungsreisen. Hattest du diese? 🔎 Versuche der Sache in der Lernaufgabe #5 auf die Spur zu kommen.

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