Deine Beziehung zu dir selbst

„Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft.“
Marie von Ebner Eschenbach

Jede einschneidende Veränderung in einer Krisenzeit beginnt mit einem verhängnisvollen Problem:

dem Verlust von Identität und Form. Kennst du das Gefühl? Als ob alles um dich herum zerfällt – du dich selbst verlierst. Die Welt scheint außer Kontrolle zu geraten. Du kannst es nicht stoppen. Genau dann ist die Zeit gekommen – für eine positive Veränderung.

In einem Schmetterlingszyklus geschieht das auf natürliche Weise im Prozess der Metamorphose: Die Raupe sagt: „Es ist das Ende.“ Der Schmetterling sagt: „Es ist der Anfang.“

Die Raupe löst sich beinahe komplett und wird in der Puppe zu einer Art „Raupensuppe“. Dies ist keine Zeit der Krise, sondern der Chance. Es ist Zeit, diese Chance zu nutzen, um „in dich zu gehen“, um dich selbst kennen, anerkennen und schätzen zu lernen.

In vielen Ratgebern ist zu lesen, dass du dich selbst lieben sollst. Aber warum? Die Selbstliebe hat einen großen Einfluss auf dein eigenes Wohl befinden, auf deine Beziehungen und auf die Gestaltung deines Lebens. Fehlende Selbstliebe resultiert unter anderem aus deinen vergangenen Erfahrungen und Erlebnissen oder Entscheidungen aus deiner Vergangenheit – Kindheit, Jugend, Beziehungen, berufliche Entscheidungen – auf die du heute nicht mehr allzu stolz bist. Vielleicht hast du als Kind etwas getan, was dir heute sehr unangenehm ist.

Entscheide selbst, wie viel du dich selbst heute für deine Vergangenheit verurteilen möchtest.

Denn du triffst die Entscheidungen als Kind mit dem Maßstab deines damaligen Wissensstandes. Dein Verständnis ist jetzt ein anderes. Nun lernst du daraus. Sei ein Lernender und erlaube dir Fehler. Erinnere dich an deine Schulzeit. Du bekommst die Deutsch-Klassenarbeit zurück und danach schreibst du die falschen Sätze dreimal auf. Obwohl du die korrekte Schreibweise verinnerlichst, ändert sich erstmal nichts an deiner Deutschnote. Doch für das weitere Leben kannst du daraus den Nutzen ziehen und diesen Fehler womöglich in der Zukunft vermeiden.

Diesen gilt es nun, ins Positive zu wenden. Nach dem Motto „Vorbei ist vorbei“ gilt es nun in deiner Metamorphose von diesen Dingen loszulassen und die Vergangenheit zu akzeptieren. Vielleicht beschäftigst du dich bereits seit einer Weile mit dir selbst. Manchmal kann es passieren, dass der Blick noch nach Außen gerichtet ist – sprich: Du denkst darüber nach, was die anderen Menschen von deiner möglichen Veränderung halten. Und dieser Gedanke hemmt dich. Doch in der Puppe gibt es keinen Grund über andere nachzudenken. Denn das ist dein „geschützter Raum“ und deine Zeit, dir dein „Inneres“ so zu erschaffen, wie du möchtest.

Wie sieht es in deinem Inneren aus?

Behandelst du dich selbst, wie du es von anderen erwartest? Nur du selbst kannst beurteilen, wie deine Beziehung zu dir selbst gerade ist und wie sie aussehen könnte. Wenn du in dich hinein hörst, findest du sicher die Antwort und die beste Lösung für deine Art zu leben.

Du bist nicht zufrieden mit dir? Ganz ehrlich – warum sollte es jemand anders sein?

Wenn du jeden Tag in den Spiegel schaust und sagst, dass du zu dick geworden bist und nicht schön genug bist. Was erwartest du von deinem Partner oder deiner Partnerin? Dass er doppelt so oft sagt, dass du schön genug bist? Findest du dich selbst dann schöner, wenn er es sagt? Wahrscheinlich nicht. Denn jeder kennt die verhängnisvolle Frage „Schatz, bin ich zu dick?“, – auf die es keine richtige Antwort gibt.

Es reicht dir nicht aus, dass andere Menschen sagen, dass du gut genug bist. Fühle es selbst!

Und dazu hast du allen Grund: Du bist gut genug. Führe eine gute Beziehung mit dir selbst und sei gut zu dir. Ich verspreche dir eins: Das wird die beste Beziehung deines Lebens.

In einer guten Beziehung mit dir selbst zu sein – dich selbst zu lieben – darin liegt der Schlüssel für eine gute Beziehung zu anderen Menschen.

Vielleicht ist es zunächst einfacher, die Beziehung zu dir selbst mit anderen Beziehungen zu vergleichen: Es gibt Zeiten, in denen du dich dir selbst mehr oder weniger nah fühlst. Denke an gemeinsame Urlaube oder emotionale Momente. Es gibt Zeiten, in denen du dich neu findest und die eigene Identität in Frage stellst – die Krisenzeiten. Krisen in Beziehungen, bei denen du die langfristigen gemeinsamen Ziele hinterfragst. Natürlich ist Harmonie etwas Erstrebenswertes. Doch ob in einer Beziehung zu dir selbst oder einer anderen Person: Es ist nicht immer alles rosarot. Manchmal gibt es Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten. Ein kleiner Streit kann dich zu positiven Veränderungen anregen, nachdem er erst mal bereinigt ist.

Was ist also das Positive an einem Streit?

Die Versöhnung: Um sich wieder zu vertragen, muss man aufeinander zugehen. In der Beziehung zu anderen sowie zu dir selbst. Bringe dir dazu selbst Mitgefühl und Verständnis entgegen. Auch wenn es sich im ersten Moment abstrakt anhört: Spreche dich mit dir selbst aus und zeige dir selbst deine Grenzen auf. Also nutze deinen inneren Streit, gehe durch den Streit und freue dich auf die Versöhnung. Nach dem Regen kommt die Sonne. Ich sage in Situationen, in denen ich sauer auf mich selbst bin, oft zu mir selbst: „Also, Jessica! Jetzt ist aber gut. Du hast nicht die beste Entscheidung getroffen und daher bist du in dieser Situation. Daran ist nichts zu ändern. Doch nun ist es Zeit, die „neue“ Situation so zu verändern, sodass du einen positiven Aspekt daraus ziehen kannst.“

Denke daran: In der Beziehung zu dir selbst hast du einen entscheiden den Vorteil: Wenn eine Art an dir nicht mehr zu dir passt, kannst du sie positiv verändern. Das ist sehr besonders.

Hand aufs Herz: Weißt du, wer du bist? Könntest du dich in ein paar Sätzen beschreiben – ganz ohne deinen Berufstitel zu nennen? Es ist doch gut zu wissen, wen du lieben lernen sollst. Und dabei auch deine guten und weniger guten Seiten zu kennen. Ich zum Beispiel weiß, dass ich gut darin bin, Dinge zu organisieren. Zeitmanagement kann ich einfach – das liegt mir im Blut. Ich weiß aber auch, dass der Anspruch an mich selbst sehr hoch ist. Demnach muss ich regelmäßig darauf achten, dass meine Eigeneinschätzung nicht zu kritisch ist. Ansonsten laufe ich Gefahr, dass ich erfolgreich abgeschlossene Ziele nicht feiern kann. Das hört sich nun einleuchtend an. Doch überlege einmal, ob auch du die Situation kennst, und frage dich, wie du mit deinen Erfolgen und vermeintlichen Misserfolgen umgehst.

Stelle dir die Fragen: Warum erscheint es für dich normal, dich selbst zu kritisieren? Hat es einen Grund, dass du beispielsweise perfekt sein möchtest? Lernst du, dass „man Dinge macht“ und „man Dinge eben nicht macht“ und du entsprichst nicht diesem vermeintlichen Ideal?

In der Beziehung zu einer anderen Person akzeptierst du die Eigenarten der Person – du schätzt sie sogar: „Das ist eben Ben. So ist er eben.“ Warum fällt es einem selbst manchmal so schwer, sich wertfrei zu betrachten? Warum fällt die Selbstbeurteilung oft negativ aus? So wie du dir gegebenenfalls aneignen kannst, sehr kritisch über dich zu urteilen, so kannst du auch wieder erlernen, das zu vermeiden.

Wertfreies Urteilen ist erlaubt und wichtig – doch bitte kein Verurteilen. Das Verurteilen kann passieren, wenn du Raum für die negativen und wertenden Gedanken lässt. Du lässt diese Gedanken zu und trägst damit die Verantwortung für dein Wohlbefinden.

Ein wichtiger Tipp für dein selbstkritisches Ich:

Versuche nicht, Eigenschaften loszuwerden, die dir an dir selbst nicht gefallen, indem du sie unterdrückst. Denn es wird dir kaum gelingen. Du bist manchmal chaotisch? Das ist okay. Manche Dinge machen dich richtig wütend, obwohl du das gar nicht möchtest? Auch okay. Du bist manchmal ein nervtötender Besserwisser? Und faul bist du manchmal auch? Das ist alles okay – du hilfst dir, es zu wissen. Es für dich selbst transparent zu machen. Denn dann kannst du damit umgehen, wenn dieses Ich zum Vorschein kommt. Ein Beispiel: Wenn ich am Ende des Tages mit meinem erreichten Ziel nicht zufrieden bin und denke: „Mensch, Jessica. Das hätte in der Tat noch optimiert werden können“ – dann weiß ich, dass das mein selbstkritisches Ich ist. Dann sage ich zu diesem Ich: „Ja, genau, Jessica. Dieses Thema kam bereits häufiger hoch. Es ist okay, so wie es ist. Du musst nicht immer alles optimieren. Erfreue dich nun an dem Erreichten und sei zufrieden mit dir.“ Je öfter du das machst, desto stärker wird dein Selbstbewusstsein.

Kennst du den Spruch „Der Weg ist das Ziel“? Franz Kafka hat bereits gesagt: „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“ Ich persönlich definiere es so: Wenn du ein Ziel erreichen möchtest, ist es wichtig, dass du dich erst einmal dafür entscheidest, einen bestimmten Weg zu gehen. Das Ziel könnte zum Beispiel sein, zu dir selbst zu finden. Der Weg ist je nach Ziel meist nicht in einem Marsch zu erreichen. So ist es wichtig, diesen in Meilensteine zu untergliedern. Meilensteine könnten sein: Dich von Dingen zu lösen, die dir nicht guttun; eine Beziehung zu beenden, die dich belastet; einer neuen Berufung nachzugehen. Nach dem Erreichen von Meilensteinen planst du eine Rast ein – die mal kürzer und mal länger dauern kann. Dies kommt auf den letzten Abschnitt an. War der letzte Meilenstein sehr holprig und mit sehr vielen Emotionen verbunden, so erscheint es wichtig, die Dauer der Rast so anzupassen, dass Zeit für die Reflektion des Vergangenen bleibt.

Nicht alles auf dem Weg ist absehbar. Manchmal ändert sich unerwartet die Richtung, es kommt zu Abzweigungen. So war dein nächster Meilenstein, dich intensiv mit dir selbst zu beschäftigen – doch es kommt unerwartet zu einem großartigen Angebot für deine berufliche Weiterentwicklung. Frage dich dann, ob es tatsächlich Sinn macht, bei dem alten Plan zu verharren.

Das Gute an Veränderungen

Veränderungen sind nicht zwangsläufig schlecht, sondern ermöglichen dir, Neues zu sehen und zu lernen.

Bleibe offen für neue Möglichkeiten – denn oftmals sind sie eine großartige Chance.

Was du dabei lernst? Du lernst deine eigenen Kräfte besser abzuschätzen. Du weißt nach einer Zeit, wie lange du für welche Ziele brauchst und wie du am besten dorthin kommst. Das führt dazu, dass du lernst, dich „auf dich zu verlassen“.

Wenn du dich selbst kennst, dann verstehst du deine vergangenen Entscheidungen und kannst auch die zukünftigen bewusst treffen – entlang deines eigenen Lebensweges. So machst du es auch anderen leichter, dich zu verstehen. Damit schlägst du zwei Fliegen mit einer Klappe: Du und andere respektieren und wertschätzen dich.

Vielleicht kennst du das Gefühl: Du schaffst alles allein und brauchst keine Hilfe? Das mag so sein, wenn es um Situationen geht, die du kennst und einschätzen kannst. In einer Krise ist es manchmal hilfreicher, dir selbst Mitgefühl entgegenzubringen und deine Freunde oder Familie nach Hilfe zu fragen. Vielleicht haben sie bereits eine ähnliche Situation erlebt und können dir von ihren Erfahrungen erzählen.

"Schutz" vor Krisensituationen

Natürlich kann dich niemand vor Krisensituationen beschützen!

Doch du kannst dir deinen eigenen Werkzeugkasten für die nächste Krise vorbereiten, wenn du die Situation erfasst. Wenn du deine Stellschrauben kennst, hast du das beim nächsten Mal im Handumdrehen wieder im Griff. Somit kannst du für dich selbst ein guter Freund sein und Selbsthilfe bieten.

Ich selbst kenne diese Situation: Ich möchte Dinge erreichen, umsetzen und scheitern gehört nicht zu meinen Lieblingsworten. Doch: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Aller Anfang ist schwer. Und so weiter. Was ich damit sagen möchte: Selbstliebe und die Anerkennung der eigenen Stärke ist Übungssache.

Manchen helfen Meditationen, Traumreisen oder auch ein Gespräch mit einem guten Freund oder einer guten Freundin. Was genau dir hilft, kannst nur du für dich herausfinden. Wie wäre es mit einem Date mit dir selbst? Manchmal spontan, um das Feuer in deiner Beziehung brennen zu lassen? Du könntest spontan entscheiden, allein über das Wochenende in eine andere Stadt zu fahren – Zeit mit dir zu verbringen. Und dann fest eingeplante Termine. Mache regelmäßig etwas, was dir gefällt und was du genießen kannst: Netflix, joggen, Fitness, kochen, lesen – du hast die Wahl.

Mir ist eines an dieser Stelle sehr wichtig: Selbstliebe bedeutet nicht, dass du dich bei all deinen Handlungen hinterfragst und es „totanalysierst“. Wenn dir zum Beispiel auffällt, dass du an einem Tag doch wieder sehr selbstkritisch mit dir selbst bist, dann ist es nicht notwendig, dass du in deiner Kindheit kramst und sagst: „Ach, ja. Das kommt nun daher, dass mir im September Neunzehnhundert-Irgendwas folgendes Ereignis widerfuhr.“ Das machst du auch nicht in einer guten Beziehung.

Foto: Unsplash

Du bist ein liebenswerter und wertvoller Mensch – mit all deiner Vergangenheit.

Weißt du das? Umso besser, wenn du dich heute schon liebst. Aber ich möchte dir ein Geheimnis verraten: Die Liebe ist nicht abhängig von der Liebe zu einer anderen Person. Hat dir vielleicht mal jemand gesagt, dass du dich erst einmal selbst lieben musst, um jemand anders zu lieben? Lass dir das nicht einreden. Denn es besagt, dass erst eine Seite erfüllt sein muss, um die andere hervorzurufen. Und das stimmt nicht. Es gibt hier keine „Wenn-Dann“ Kausalformel. Du musst gar nichts – und erst recht musst du dich nicht erst selbst lieben, damit du andere lieben kannst.

Das lässt sich anhand eines einfachen Beispiels beweisen: Stelle dir einmal eine Mutter vor. Sie hatte bisher in ihrem Leben nicht die Chance, ihre Kindheit aufzuarbeiten. Das Schicksal meinte es nicht allzu gut mit ihr. Sie mag ihren Körper nicht und rückblickend ist sie überhaupt nicht stolz auf das, was aus ihrem Leben geworden ist. Man könnte sagen, ihre Selbstliebe ist suboptimal ausgeprägt. Doch glaubst du, dass sie, wenn sie ihr Baby auf dem Arm hat und in das wundervolle Gesicht schaut, auch nur einmal daran denkt, dass sie ihr Kind nicht lieben kann, weil sie sich selbst nicht liebt? Ganz sicher nicht. Und das ist auch gut so.

Wenn du davon ausgehst, dass du erst mit deiner Selbstliebe andere Liebe entfalten kannst, ist das egozentrisch. Die Erkenntnis über bedingungslose Liebe führt dazu, dass du dir über deine Beziehung zu dir selbst und deiner Verbindung nach außen bewusstwirst.

Das heißt, dass die Auflösung von deinen eigenen Konfliktthemen gut ist und dir zur entscheidenden Veränderung hilft: Das ist die neue Ausgangsposition von Wachstum, Selbsterkenntnis und Verantwortung in deinen Beziehungen zu dir und anderen. Ändere deine innere Haltung, wenn du merkst, dass sie dich blockiert und dir deine Kraft raubt. Innere Kraft kann etwas Positives oder Negatives sein. Es liegt an dir, ob du mit der Kraft etwas zerstörst oder die Kraft nutzt, um mit deinen eigenen Flügeln fliegen zu lernen.

Beschreibe dich selbst in der Lernaufgabe #12, um dich selbst noch etwas besser kennenzulernen.

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